LIVE NIRVANA INTERVIEW ARCHIVE November 12, 1991 - Frankfurt, DE

Interviewer(s)
Martin Büsser
Interviewee(s)
Dave Grohl
Publisher Title Transcript
Zap Nirvana Yes (Deutsch)

INDUSTRIELLE ROCKMUSIK STÄRKT DAS KONSERVATIVE STAATSSYSTEM, MACHT DIE PSEUDO-SUBSERSIVEN HANDLUNGEN DER JUGEND KONTROLLIERBAR..

NIRVANA sind das derzeit populärste Beispiel einer Band, die völlig den Bezug zur Basis verloren hat. NIRVANA sind innerhalb kürzester Zeit zu Rockstars geworden, sozusagen - wie sich das fast jeder wünscht - über Nacht. Von ihrer ersten LP lagern noch immer bleischwer die Exemplare bei ROUGH TRADE; sie hat sich nicht viel besser verkauft als jede beliebige Independent-Veröffentlichung aus Amerika. Dann kam der Sprung zu Geffen-Records, ein Kind aus dem Hause Warner, eine halbe Millionen allein in Amerika verkauft... das war der Stand vor vier Wochen. NIRVANA und GUNS'N'ROSES werden immer mehr zum Synonym.

"Wie, wollt ihr im ZAP denn alles schlecht machen?" Ich höre schon die Nörgler, die NIRVANA zur geilsten Band dieses Jahres gekürt haben, es ist ja bequem, sich nach Trends zu richten... tja, aber leider muß ich dies hier schreiben, denn: der NIRVANA-Gig in Frankfurt war das Widerlichste, was ich seit langem gesehen habe!

Und das hat eigentlich gar nicht so sehr an der Musik oder den Musikern gelegen, auch nicht daran, daß ihre neue Platte einen extremen Schritt ins kommerzielle Lager gegangen wäre, denn die beiden LP's von NIRVANA unterscheiden sich wirklich nur minimal. Klar, auf der neuen LP finden sich mehr poppige Ohrwürmer vom Format "Smells Like Teen Spirit", aber gegen Ohrwürmer habe ich nichts auszusetzen, nein, das ist es nicht - die ganzen Begleitumstände sind es, die NIRVANA zum grauvenvollsten Ereignis seit MICK JAGGER machen.

Da ist zum ersten eine Plattenfirma mit viel Geld, die sehr genau den Markt beobachtet hat und weiß, daß sich mit gut vermarkteter Rockmusik viel, sehr viel Geld verdienen läßt, daß lange Haare, ein Böse-Buben-Image und Löcher in der Hose wieder ziehen ... vielleicht sogar mehr ziehen, als ein neuer MICHAEL JACKSON-Verschnitt das täte. Eine Jugend nämlich, die ihr Leben auf College, Karriere und große Autos ausgerichtet hat, braucht diesen Schein von Rebellion, den sie sich nicht leichter und unverfänglicher ins Haus holen kann als durch eine Musik, deren Sticker Wildheit (was immer das ist) garantiert. Diese Massen von Kids werden sich weder die BUTTHOLE SURFERS noch SFA kaufen, denn was sie brauchen ist eine industriell vorgefertigte Rockmusik, eine industriell verbreitete Wildheit, weil nur die Gruppengefühl verspricht, viele Freunde, die dasselbe hören, viele Clubs, in denen man seine Favoriten hören kann.

Durch diese Musik sei es nun METALLICA, GUNS'N'ROSES oder NIRVANA entsteht eine soziale Basis und mit dieser Basis der Glaube, Teil einer großen, wilden, rebellischen Gemeinschaft zu sein. Während man am nächsten Tag wieder brav und durch die Rockmusik am Abend von aller Frustration gereinigt zum college oder Schraubstock zieht. Industrielle Rockmusik stärkt das konservative Staatssystem, macht die pseudo-subsersiven Handlungen der Jugend kontrollierbar. Im Kollektiv einer von Hundertausendne gehörten harmlosen, aber harten Musik, können sich die Kids für kurze Zeit dem Glauben higeben, sie seien Außenseiter, Unverstandene und Unkontrollierbare.

Was für ein drolliges Bild: Hundertausende, die mit ihren gepflegten langen Haaren und den zerschlissenen Jeans uniformiert den Traum des Außenseiters träumen und dabei doch treu wie die Lämmer ihren Eltern und Lehrern folgen. Leider ist es sehr schwer, diese Knilche, von denen es bei uns genauso viele gibt wie überm großen Teich, aus ihrem Schlaf zu wecken. Denn sie glauben ja selber beim Blick auf ihre Plattensammlung, die Sixpackflasche in der Hand, die U-Comics im Regal und immer eine Hand, die an den Haaren zottelt, daß sie etwas anderes wären. Das, was David in diesem Interview über Außenseiter sagt, wird sie noch darin bestärken. Aber der gewöhnliche NIRVANA-Hörer ist kein Außenseiter, im Gegenteil, er ist der Prototyp, den sich das Jugendmagazin der Bausparkasse vorstellt, wenn sie den ausgeflippten Buben von Nebenan ins Bild bringen will. Bart Simpson ist hundertmal progressiver als diese CAMEL-Gesichter.

Sei's drum: Es ist eine sehr geschickte Taktik, mit der die Industrie sich ihre naiven Musiker-Kids von der Straße holt und als Marionetten agieren läßt, die Tausenden suggerieren, lange Haare zu haben und harte Musik zu hören, gäbe einem das Recht, BWL-Studenten und Bankangestellte Spießer zu nennen. Wir befinden uns in einer Zeit, wo Modeschöpfer Rebellionen kreieren, die keine sind. Auch die Bedeutung von NIRVANA ist nicht größer als die einer Jeans.

Ein weiterer Nebeneffekt ist der, daß die Existenz einer Band wie NIRVANA oder SOUNDGARDEN die Grenzen zwischen Underground und MTV verwischt und damit mehr und mehr die Autonomie des musiklaischen Underground zerstört. Sobald Rock (und, wartet nur ab, bald auch Hardcore) wieder hoffähig ist und uns seine wilde Fratze auf allen Kanälen entgegenschüttelt, stirbt mehr und mehr das Bedürfnis nach einer musikalischen Alternative. Genau dasselbe Kasperletheater beginnt, das wir schon einmal hatten, als JIM MORRISON sich zur besten Sendezeit im Fernsehen an die Eier langte. Die Tendenz zu dieser Institutionalisierung des Underground hat längst begonnen - im Einvernehmen mit allen sogenannten Fans. INTRICATE vor 70 und NOTWIST vor 20 Zuschauern: Bands von der Basis, über die das ZAP auch jeden Monat berichtet, werden völlig ignoriert, erst recht, wenn sie nicht aus dem Heiligen Land Amerika kommen, der musikalische Horizont der meisten schmälert immer mehr auf ein paar sogenannte Kultbands zusammen, neben Namen wie DEAD KENNEDIES, CRO-MAGS, METALLICA und SLAYER ist plötzlich kein Aufnahmevermögen mehr da für Bands, die vielleicht tausendmal interessanter sind, aber noch nicht so oft abgenudelt und allgemein geheiligt wurden. Dieser Trend setzt sich soweit fort, daß nichtmal mehr die wirklich interssanten Bands aus Amerika wahrgenommen werden, sondern nur noch der Einheitsbrei, der als typisch amerikanisch identifizierbar ist, also entweder ein Abklatsch von HÜSKER DÜ, von BLACK FLAG, von SONIC YOUTH oder METALLICA. Und NIRVANA eben, die auch sehr sehr amerikanisch sind.

Aber jetzt mal zum Gig in der hoffnungslos ausverkauften "Batschkapp". Im Raum vor der Tür, wo die großen, göttlichen NIRVANA-Gurus warten, wurden die Journalisten erst einmal gesammelt, an die zwanzig vielleicht und dann - frei nach einem balineischen Puff - von einem unfreundlichen Tourbegleiter (Marke: Streßgesicht, immer in Arbeit) zugeteilt: "Du bekommst den Bassisten, du den Drummer. Nach zehn Minuten ist Schluß." Es gibt kaum etwas perverseres als Presseleute, die sich wie ausgehungerte Geier auf das stürzen, was ihnen als "hip" vorgeworfen wird und die vor einem halben Jahr den Namen Nirvana noch für eine indische Sekte gehalten haben. Alles, was Presseleute können, ist, ihr Heft auf WOM-Charts und Anzeigenkunden anzulegen, kein eigener Geschmack mehr, bloß sich einreden, daß NIRVANA geil sind, weil man NIRVANA im Moment eben geil finden muß. Da lobe ich mir fast, daß SPEX fürs letzte Heft URGE OVERKILL aufs Cover setzte, die Verliere des Abends. Kein Journalist hat sie überhaupt wahrgenommen und das Interview, das ich als einziger mit ihnen gemacht habe, fand unter den ungünstigsten Umständen statt: Deprimierte Musiker, die isch im NIRVANA-Fieber völlig verloren vorkamen und die so wenig wert zu sein schienen, daß man mich wegen ihnen fast rausgeworfen hätte. ("Du stehst nicht auf der Gästeliste." - "Ich bin von EFA eingeladen für ein URGE OVERKILL-Interview." - "Das interessiert mich nicht, ich kümmere mich nur um NIRVANA").

Der URGE OVERKILL-Gig war überragend gut, doch die meisten Zuschauer standen lustlos wie die Fischer herum, zwischen den Songs hörte man einige "NIRVANA" brüllen - es war gar keine Bereitschaft da, etwas anderes zu hören als die, die man sich in dieser Saison für Götter erklärt hat. Vielleicht waren URGE OVERKILL aber auch nur die originellere Band und nicht so leicht zu begriefen. Während ihrer "Emma"-Coverversion von HOT CHOCOLATE kam es zu einer Schlägerei. Ein Typ fühlte sich von einem Pogotänzer (dem einzigen im ganzen Saal) genervt und nachdem er ihm ein paarmal in die HÜfte geschlagen hat, nahm er ihn an die Gurgel. Die ganze Zeit war unerfreulich und knisterte danach, sich bei NIRVANA zu entladen. URGE OVERKILL gingen von der Bühne ohne eine Zugabe zu spielen.

Bei NIRVANA ist der Saal ausgebrochen, die überfüllte Batschkapp war nur noch ein Meer von springenden Körpern auf engstem Raum und Händen, die in die Luft grapstchen, um die Stars zu berühren. Ein perverses Bild. Keinen der Anwesenden hat es gestört, daß NIRVANA erst auf die Bühne kamen, als Roadies ihre Instrumente reingetragen und gestimmt haben. Anscheinend ist das bei Rockstars normal. Keinen hat es gestört, daß der Gesang mit Effekten zugeknallt war, damit er ja wie von Platte klingt. Zu natürlich darf Rockmusik auch nicht sein. Keinen hat es gestört, als der Bassist anfing, Hände zu schütteln, nein die Schreie wurden immer lauter, ich habe dieses "Segne mich" nicht mehr ausgehalten. Dreihundert Leute (um nur die zu nennen, die vor der Batschkapp standen), die keine Karte mehr bekommen haben, hätten mich beneidet. Mir war nur übel. Die Leute haben sich kein bißchen anders verhaltne als kleine Mädels bei den NEW KIDS ON THE BLOCK. Stars sind wieder angesagt, Musiker, auf die man hochblicken kann. Klar, wir leben in einer Zeit, wo Idole selten geworden sind. Sorry, ich habe Richard von Weizsäcker vergessen. Aber sonst? Suppe.

Hinter NIRVANA steckt ein Apparat, der nur funktioniert, wenn Industrie, Presse und Fans zusammenarbeiten. Die Musiker selber isnd dabei am unwichtigsten geworden. Man läßt ihre Patschehändchen für eine Millionen versichern, ansonsten läuft alles von selbst. Arme Zeiten. Dabei ist die Musik von NIRVANA doch wirklich nichts Besonderes... ich meine, im Vergleich zu so einigen Bands, die in feuchten kleinen Wohnzimmern spielen. Ich habe mir die Platte noch einmal angehört: fast jedes Lied ist nach demselben Strickmuster, schön, tut nicht weh, ein bißchen wild und immer wieder Eckpunkte wie POLICE und U2... viel Rummel um eine Band, die man sich zwar anhören kann, mehr aber auch nicht.

ZAP: Bis zu 10 Interviews an einem Abend - ist das nicht ein riesiger Streß?

David: Klar, es ist eine total seltsame Situation. Du sitz zwei Stunden auf deinem Platz und redest nur über dich selbst vor total fremden Menschen. Das hat etwas von einer Therapie, eine Seelenwäsche.

ZAP: Habt ihr diese Popularität erwartet?

David: Nein, keiner von uns. Der Zustand momentan hat etwas Wahnsinniges. Wir kommen uns vor, als seien wir verrückt geworden und würden das alles nur träumen.

ZAP: Jack Endino behauptet, ihr wäret so populär geworden, weil ihr eigentlich richtig nette, simple Popsongs schreibt, die jeder leicht verstehen kann.

David: Es stimmt. Wir wollen unsere Musik simpel halten, so einfach wie nur möglich. Viel Melodie - Songs, die die Leute leicht verstehen können und an die sie sich auch gut erinnern können. Der Wiedererkennungseffekt soll da sein, auf alle Fälle. Die meisten Leute verstehen unsere Musik leichter als die von komplizierten Bands wie den MELVINS. Aber, ich weiß nicht, das war kein Konzept von uns, das ist die Musik, die uns gefällt. Wir haben keine Strategie. Und wenn die Leute uns mögen, egal, wie viele es sind, finde ich das großartig.

ZAP: Welche Frage wird euch in dieser Masse an Interviews am meisten gestellt?

David: Jeder will etwas über das Cover wissen. Wleche Message steckt hinter eurem Cover, fragt fast jeder. Der Säugling, der nach dem Dollar am Angelhaken grieft, dahinter sehen sie alle etwas Symbolisches. Na ja, aber wir haben uns darüber keine großen GEdanken gemacht. Klar, letztendlich haben wir damit diese materialistische Philosophie darstellen wollen, die ganz Amerika besitzt. Das kleinste Kind sieht schon seinen ganzen Lebenssin darin, zu konsumieren. So ist das nun mal in Amerika.

ZAP: Captain Beefheart hatte sich auf seiner schlechtesten, poppigsten Platte mit einem Bündel Dollarscheinen in der Hand abgebildet. Er wollte mit dieser Platte Hits landen, hatte diese Haltung aber auch gleichzeitig ironisiert. War das bei euch ähnlich?

Dave: Nein, mit unserem neuen Label und unserem Erfolg hat das Cover nichts zu tun. Jeder glaubt, wir würden jetzt das große Geld mit unserer Musik machen, aber das stimmt nicht. Die Platte verkauft sich sehr gut und eventuell werden wir bald einiges Geld sehen, aber das war keinerlei Motivation für uns. Wir haben nichts wegen dem Geld getan. Geld ist für uns kein Ideal, nichts, was Wert hat, darauf hinzuarbeiten. Es passiert halt.

ZAP: Glaubst du, daß ihr ein erstes Beispiel dafür seid, wie Underground-Musik plötzlich populär wird und von Millionen gehört?

David: Gewöhnlich haben doch nur ganz ganz wenige Bands dieses Glück. Das sind Leute wie SONIC YOUTH oder JANES ADDICTION, die Kompromisse mit Mainstream eingehen. Sie konfrontieren die Öffentlichkeit mit etwas Neuem, weil sie diese Kompromisse eigegangen sind. Aber Amerika ist riesig und in diesem riesigen Amerika wissen die meisten Kids gar nicht, daß es noch etwas anderes gibt, daß es eine Alternative gibt zu BON JOVI. Das Radio kontrolliert die Menschen rund um die Uhr und lenkt ihr Denken in eine ganz bestimmte Richtung.

ZAP: Moment. Jeder ist doch frei, zu wählen. Wenn die Kids nur wollten, würden sie sehr schnell sehen, daß es noch mehr gibt als Mainstream.

David: Aber da ist die große Furcht. Jeder hat die Angst, etwas anderes zu sein und von der Norm abzuweichen. Sobald du geboren bist, wirst du total geformt von den rgeln, die du einzuhalten hast. Man trichtert dir ein, daß du zum College zu gehen hast, einen ordentlichen Job gekommoen mußt, heiraten mußt. Du mußt nett und freundlich sein. Und die Menschen haben Angst davor, von diesem Bild abzuweichen. Es besteht eine rieisge Angst, anders zu sein, denn wenn du anders bist, zeigen sie mit dem Finger auf dich. Also: färbe deine Haare blau, spiele eine andere Musik als den Mainstream, der erlaubt ist - und, was passiert dann mit dir? Du wirst zum Außenseiter.

ZAP: Aber es ist doch nicht so schwer, sich diesen Regeln zu verweigern. Man reißt dir doch nicht den Kopf ab, wenn du nicht zum College gehst, nicht heiratest.

David: Solange du essen mußt, scheißen mußt und atmen mußt, mußt du auch von irgendetwas leben können. Also - what the fuck? Klar, du stirbst nicht, wenn du nicht zum College gehst, aber jeder braucht einen Job, um zu überleben und es ist einfacher, wenn man deshalb Kompromisse eingeht. Du kannst außerhalb der Konventionen leben, aber dort lebt es sich nicht so angenehm. Deswegen wählen die Menschen den leichteren Weg. Vielleicht ist es ein Zeichen, daß Bands wie wir plötzlich populär werden. Vielleicht kommen die Menschen von ihrer konservativen Mainstream-Haltung ab. Und vielleicht wird die Definition von Underground sich in fünf Jahren total gewandelt haben. Es ist ja zum Beispiel absurd, SONIC YOUTH oder JANES ADDICTION Underground zu nennen. Sie sind ja riesengroß. Und das ist großartig. Wenn ich an Undeground denke, dann fallen mir Leute wie GG ALLIN ein.

ZAP: Aber meinst du nicht, daß Underground eine Frage der Haltung ist, die isch nicht in Verkaufszahlen ausdrücken läßt?

David: Klar, wir denken anders als MICHAEL JACKSON. Ich mag zum Beispiel auch Heavy Metal wegen seiner Haltung nicht, wegen all den Dingen, die damit zusammenhängen. Heavy Metal ist Macho-Musik, ist sexistisch, bloßes dummes Image. Außerdem klingt alles gleich. Eine Band kommt groß raus und schon hast du fünfzig dahinter, die genauso klingen. What a fuck is heavy metal anymore?

ZAP: Ist nicht auch SUB POP in eine Richtung gegangen, wo sich vieles gleich anhört?

David: Nein, absolut nicht. Klingen wir wie MUDHONEY? Klingt MUDHONEY wie TAD? Na also. Wenn die Leute an SUB POP denken, dann denken sie an ein Charles Peterson Photo, lange Haare in Schwarzweiß, das ist das Image, das sie weghaben, aber das stimmt nicht. Es ist ein Journalisten-Vorurteil, daß alle SUB POP-Bands gleich klingen. Eine totale Verallgemeinerung. Ich kann das einschätzen, denn ich bin nicht von Seattle, daher konnte ich die ganze SUB POP-Szene aus Distanz betrachten. Und ich kann nicht sagen, daß alle Bands gleich klingen. Ich kenne keine Band, die wie NIRVANA klingt. Das ist so, wie wenn dir einer sagt: "Schau dir den Kerl an, der sieht aus wie due" Nun, und du betrachtest ihn und stellst absolut keine Ähnlichkeiten fest.

ZAP: Aber ein SUB POP-Problem ist, daß alle dieselbe Masche benutzen, die Art von "GrunchRock", der sich langsam totgelaufen hat.

David: Das hat man überall. Sieh dir Washington an, wo sie alle FUGAZI nacheifern. Ich verstehe das Problem. Es ist sehr leicht für eine Band, etwas nachzuahmen, was sie bewundert. Das geht jeder Band so. Ich bewundere zum Beispiel die PIXIES und muß höllisch aufpassen, daß wir nicht wie die PIXIES klingen. Und wenn ich Songs auf der Gitarre schreibe, kann's sehr schnell passieren, daß sie wie MELVINS klingen, denn die MELVINS liebe ich auch über alles. Es ist eben das leichtetste, jemanden zu folgen, den man mag. Und es ist eine große Gefahr. Die Underground-Szene braucht längst neue Impulse. Es ist so hart für mich, eine Band heutzutage zu finden, die ich wirklich mag. Vor sieben Jahren habe ich noch rund um die Uhr neue Musik gehört. Ich hatte kistenweise Tapes von Bands, die ich liebte. Und heute? Es ist alles so langweilig geworden, so viel Wiederholung. Was ich mag sind zum Beispiel die VASELINES. Ich liebe eben total simple Popmusik, so Zeug wie BEAT HAPPENING.

ZAP: Heißt das, daß ihr eure Musik auch weiterhin simpel halten wollt? "Smells Like Teen Spirit" hat ja zum Beispiel schon einige Stimmungswechsel, die nichts mit den VASELINES oder BEAT HAPPENING zu tun haben.

David: Ja, wir haben begonnen, mit Dynamik zu experimentieren. Es bereichert einen Song unheimlich, wenn du einen Vers einbaust, der dann zusammenbricht, ein Schrei, der dann in sich zusammenfällt und sich zu einer netten ruhigen Melodie neu zusammenbaut. NIRVANA ist schon immer Musik gewesen, die Gefühle und Stimmungen in den Vorderground gestellt hat. Von totaller Stille zu Krach überzuwechseln, das ist es, woran wir derzeit arbeiten. Eigentlich sollte noch viel mehr dazukommen. Als ich mit Kurt zusammengearbeitet habe für die neue platte, hatten wir ins Auge gefaßt, mit Eletronics und Sampling zu arbeiten. Ein Bass, eine Gitarre und ein Schlagzeug, das ist so langweilig konventionell, also, wir überlegen uns schon, neue Dinge einzubringen. Heutzutage kommen Bands ja auch nur noch zusammen mit einem Plan. Sie planen, einen bestimmte Art von Underground-Musik zu machen, nach einem ganz bestimmten Schema, aber sie alle haben es verlernt, Songs zu schreiben. Songwriting ist das Wichtigste. Aber das kann inzwischen fast keine Band mehr. - Wir schreiben Songs und kümmern uns einen Scheißdreck darum, was mit uns passiert.

ZAP: Ist es leicht für euch, einen Song zu schreiben?

David: Nein. Denn das Schrecklichste ist, sich hinzusetzen und sich vorzunehmen, etwas Gescheites niederzuschreiben. Wir können das nicht. Viele Leute können das vielleicht, Songs konstruieren, aber bei uns ensteht alles spontan.

ZAP: Ihr habt auch ein Video zu eurer neuen Platte gemacht. War das eine freiwillige Sache oder hat das die Plattenfirm von euch verlangt?

David: Es war unsere Idee. Wir wurden dazu nicht gezwungen, denn unsere Plattenfirma kann uns zu nichts zwingen. Wir machen, was wir wollen und lassen uns nicht reinreden. Das Video war eine neue Erfahrung, die wir einfach ausprobiert haben.

ZAP: Was denkst du nun, wenn du dieses Video auf MTV siehst?

David: Tja, das ist total seltsam. MTV sucks shit. Es ist der Einkaufskatalog für amerikanische Teenager. Aber es ist großartig und witzig, daß 99 Prozent auf MTV riesige Scheiße ist, aber NIRVANA dazwischen läuft. Ich hoffe, daß die Kids uns sehen, wie wir schreien, einfach nur Krach machen und sich dann fragen: "Hey, what's this on MTV? This is somethign new" Ich weiß nicht... das gibt mir dann doch wieder Hoffnung, daß man doch noch etwas in diesem verkrusteten amerikanscihen Musikergeschäft erreichen kann"

Martin Büsser

PS: In den Reviews von Nr. 43 habe ich die NIRVANA-LP sehr gut besprochen. Das nur für all die, die glauben, ich würde jeden Monat meine Meinung wechseln: Die Platte ist auch gut. Aber hätte ich da schon von dem überzogenen Trubel gewußt, der mit NIRVANA gerade gemacht wird, wäre das Review anders ausgefallen. Eine gute Platte macht noch keine Rockstars. Äh, also eher im Gegenteil: nur schlechte Platten haben bisher Rockstars hervorgebracht. Deswegen ist NIRVANA ja ein so gefährliches Beispiel dafür, wie sich gerade die Verhältnisse wandeln. Obwohl: Michael Jackson vor drießig Leuten ind er Au, das wär auch mal ein Experiment wert.

© Martin Büsser, 1991