LIVE NIRVANA INTERVIEW ARCHIVE August ??, 1991 - ??, DE

Interviewer(s)
Robert Müller
Interviewee(s)
Kurt Cobain
Publisher Title Transcript
Metal Hammer (DE) Nirvana: Die geheimnisvolle Schönheit von Achtspur-Produktionen Yes (Deutsch)

Die geheimnisvolle Schönheit von Achtspur-Produktionen

Eines der neuesten Dinger, auf die sich die Major-Labels eingeschossen haben, ist sicher der ominöse Seattle-Grunge-Sound… Alice In Chains, Soundgarden, Temple Of The Dog, um mal die zu nennen, die es schon so weit gebracht haben. Jetzt gibt es Nirvanas zweite LP NEVERMIND ebenfalls in diesem Big Business-Format, und es ist das reine Götterteil!

Nirvana sind kein unbeschriebenes Blatt mehr, sie haben schon eine LP - BLEACH - und diverse Singles für Seattles Haus-Indie Sub Pop gemacht, aber es ist geradezu erschreckend, wie sie die verbesserten Bedingungen ihres neuen Deals dazu genutzt haben, die unübertroffene Rauheit von BLEACH voller lärmender Seventies-Gitarren mit einem traumhaften Gefühl für wunderhübsche Songminiaturen zu kombinieren. Ich sprach mit Kurt Kobain, dem Gitarristen und Sänger, der seine Brillianz beim Ersinnen dieser Klangjuwelen hinter einer gehörigen Portion Drögheit am Interview-Mikro zu verbergen suchte... aber damit kommt mir keiner durch.

Wie siehst du jetzt mal rein musikalisch Unterschiede zwischen BLEACH und NEVERMIND, die sich aus euer veränderten Vertragssituation ergeben haben könnten?

„Ich glaube nicht, daß sich unsere Musik großartig verändert hat, sieht man mal von der besseren Produktion ab. Vielleicht spielen wir jetzt nicht mehr so extrem langsame, harte und langweilige Sachen, wie wir es gelegentlich auf BLEACH taten; vielleicht neigen wir mehr zu catchy Melodien. Andererseits ist das nichts, was sich nicht schon auf BLEACH angedeutet hatte, nimm etwa den Song „About A Girl“, das ist für mich perfekter Pop. Sicher ist der Sound diesmal ein wenig clean geworden… beim nächsten mal machen wir wieder eine richtig derbe Achtspur-Aufnahme, die wir diesmal mit hohem technischen Aufwand zu imitieren versucht haben. Insgesamt ist es schwierig für mich, die Unterschiede zu beurteilen, für mich ist es und war es immer einfach nur meine Musik.“

Gibt es so etwas wie den typischen Hintergrund dieses Seattle-Sounds, oder wie sieht der spezielle Hintergrund bei Nirvana aus?

„Ich war ein großer Punkrock-Fan, aber eins hat mich immer gestort: Das viele Punks einfach verleugneten, daß Siebziger- Hardrock auch nur etwas taugt. Es war echt ein Wagnis zuzugeben, daß man beides mag. Ich habe mich dann irgendwann entschieden, den Versuch zu starten, diese beiden Dinge zusammenzuschmieden, und allen Meckerern zu sagen: Fuck Off! Ich hatte einfach die Nase voll von all den Leuten, die nur vorgaben, offen zu sein. Wenn Musik gut ist, ist sie gut; basta! Das war immer eines der Ziele, die ich mit Nirvana verfolgt habe: Die Musik offener zu gestalten, zu zeigen, daß wir Musik lieben und nicht einfach nur einere bestimmten Kategorie zugeordnet werden wollen.“

Gibt es eine textliche Kategorie für euch? Ich höre nämlich ziemlich oft Worte wie „Love“ oder „Girl“ in euren Texten…

„Och, es sind nicht notwendig alles Liebeslieder… es geht darum, wie man mit der Liebe umgeht in Beziehungen. Seien es Beziehungen zwischen einem Jungen und einem Mädchen, einem Jungen und einem Hund oder einem Mädchen und einem Baum, das ist egal. Es ist im wesentlichen die Verwirrung, die mit Liebe einhergeht.“

Beruhend auf persönlichen Erfahrungen?

„Solange es nicht um ein Mädchen und einen Baum geht… ja, sicher, das sind eine Menge persönliche Erfahrungen, aber auch Geschichten von Freunden, die ich gehört haben, oder auch etwas aus dem Fernsehen, wir sind ja schließlich in Amerika…“

Zur Zeit scheint ja das Interesse der Majors an den Seattle-Grungern geweckt zu sein. Wie denkst du über die Möglichkeiten oder Einschränkungen, die sich aus einem Major-Vertrag für diese Musik ergeben können?

„Was uns angeht: Es ist perfekt. Denn unser Vertrag sichert und hundertprozentige künstlerische Kontrolle, wir tun exakt nur das, was wir wollen. Für andere Bands kann ich schlecht sprechen, die meisten Seattle-Bands, die ich kenne und mag, haben nun noch keinen Major-Deal. Außer Soundgarden, und ich wußte nicht, daß es für sie besonders schlecht laufen würde."

Naja. Alice In Chains, Temple Of The Dog… man sagt ja immer, die Seattle-Szene wäre so eng verbunden.

„Ist. Sie auch. Aber Alice In Chains, Temple Of The Dogs: Have ich nie gemocht. Das ist einfach nicht so der wahre Seattle-Sound - zu glatt, zu kommerziell. Temple Of The Dog ist ein liebes Projekt, ich kannte Andy zwar nicht besonders, aber ich weiß, daß die Leute so um Soundgarden und Mother Love Bone richtig gute Freunde waren, und es ist eine schöne Sache, daß sie diese Platte gemacht haben. Nur finde ich persönlich die Musik eher langweilig…"

Nirvana war ja bisher immer eine Band, die sich mehr in der Independent-Szene einen Namen gemacht hat. Gerade jetzt habt ihr mit Sonic Youth getourt. Jetzt habe ich den Eindruck, daß auch die breite Metal-Öffentlichkeit euch ihre Aufmerksamkeit zuwendet… zumindest hier in Deutschland. Wie stellt sich das in deinen Augen dar, ist Nirvana mach Teil einer bestimmten Szene?

„Ich selbst bin schon an Hardrock oder Heavy Metal interessiert, finde nur, daß es zur Zeit sehr wenige wirklich interessante Bands dort gibt. Insofern war und bin ich schon mehr an der Punk- oder Independent-Szene interessiert und dementsprechend liegen unsere Kontakte auch eher in diesem Bereich. Aber wenn es da draußen einige Kids gibt, die auf Guns N’ Roses stehen und unsere Musik vielleicht auch gut finden, dann ist das natürlich schön."

Würdet ihr denn auch soweit gehen wie etwa Alice In Chains und mit einer größeren Metal-Band vom Kaliber Megadeth durch die Welt touren? Also gewissermaßen versuchen, ein ganz neues Publikum zu erobern?

„Es gibt eigentlich sehr wenige Bands, von denen ich sagen würde, daß ich richtig gerne mit ihnen touren würde. Wir wollen im wesentlichen unser eigenes Ding drehen, zur Not alleine… bis dahin ziehe ich es allerdings vor, mit Sonic Youth unterwegs zu sein und respektiert zu werden, als mit irgendwelchen Pseudo- Megastars rumhängen und für das Vergnügen auch noch maßig Geld bezahlen zu dürfen."

Alles klar? Wenn auch Dir Alice In Chains zu kommerziell sind… Nirvana sind die Besten. Hat er nicht gesagt, aber er hätte recht. Hort, un-geschliffen und schön. Demnächst wollen sie nochmal fett touren, und nicht im Vorprogramm von irgendwelchen aufgeschwemmten Thrash-Leichen… hört doch mal rein in NEVERMIND und überlegt es Euch.

© Robert Müller, 1991